Ausgabe

BÜHLER?

No. 36 | 2020/1

«Obacht Kultur» N° 36, 2020/1 erkundet ein vielen unbekanntes Dorf mitten im Appenzellerland: Bühler.

Auftritt: Brigit Widmer
Umschlag: Isabel Rohner
Bildbogen: Mark Staff Brandl
Texte: David Signer, Johanna Lier, Lea Sager u.v.m.

Online blättern
Ausgabe bestellen

Der Musik verpflichtet

Wer ist dieser langjährige Einwohner von Bühler, der mit Akribie hunderte von Naturjodel-Melodien gesammelt und aufgezeichnet hat? Der sich mit Leidenschaft der klassischen und der Volksmusik widmet und daneben noch Zeit zum Aquarellieren findet?

Etwas oberhalb des Dorfes Bühler wohnt er: Erwin Sager. 1967 kam er als Junglehrer ins Dorf. Bis 2009 wirkte er in der Schule Bühler und in der Kirchenpflege. Aktuell widmet er sich der Lesegesellschaft und hilft im Verein «Kafi 55», einem Treffpunkt als Ersatz für die verloren gegangenen Dorfbeizen. Er ist auch Präsident des Gönnervereins Roothuus Gonten.

Musikunterricht, allen Umständen zum Trotz

Die grosse Leidenschaft von Erwin Sager gehört der Musik. Im Schulalter lernte er Geige spielen. Als wegen des frühen Hinschieds seines Vaters das Geld nicht mehr für Musikstunden reichte, erteilte ihm sein Musiklehrer weiter unentgeltlich Unterricht, bis er im Lehrerseminar mit Musikstunden weiterfahren konnte. Eine schöne Motivation – und Verpflichtung – für seine musikalische Laufbahn, die er später auch auf das Spiel mit der Bratsche, dem Klavier und dem Kontrabass ausdehnte.

«Erwin Sagers erstes Logis in Bühler befand sich im Hause des Hackbrettspielers Jakob Freund. Dort trafen sich Musikanten regelmässig zu ihren Proben.»

Sein erstes Logis in Bühler befand sich im Hause des Hackbrettspielers Jakob Freund. Dort trafen sich Musikanten regelmässig zu ihren Proben, was Sager Ton für Ton mitverfolgen konnte. Damit war der Grundstein gelegt für seine Mitwirkung in verschiedenen Appenzeller Formationen. Aber wie lässt sich nun der klassische Musikstil, in dem Sager ausgebildet wurde, mit der oft gering geschätzten Volksmusik vereinbaren? «Sehr gut», sagt Sager. Volksmusikanten spielten mit «offenen Ohren», sie müssten einander gut zuhören. Das sei eine ausgezeichnete Schulung für das Zusammenspiel in einem klassischen Orchester. So pflegt er denn auch die klassische Stilrichtung im Appenzeller Kammerorchester als Stimmführer bei den Bratschen. Die barocke Spielweise dieses Orchesters hat viele Gemeinsamkeiten mit derjenigen der traditionellen Appenzeller Streichmusik. Ein Beispiel für die Verbundenheit beider Stilrichtungen ist Sagers Komposition «Vivaldi-Schottisch». Darin hat er das Kopfthema eines Vivaldi-Konzertes aufgegriffen und mit zwei Teilen im Stil der Appenzeller Streichmusik ergänzt. Dies ist nur eine von über hundert Kompositionen aus seiner
Feder. 

Engagierter Präsident

Es verwundert darum nicht, dass Erwin Sager 2009 vom Roothuus Gonten, dem Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik, eine Anfrage erhielt: Der Gründungspräsident des Gönnervereins, Hans Hürlemann, hatte Sager als seinen Nachfolger vorgeschlagen. 

Stifter des Roothuus Gonten sind die Kantone Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen, der Bezirk Gonten sowie die Appenzellische Gemeinnützige Gesellschaft. Sie finanzieren die Betriebsbeiträge. Anlässe, Forschungsarbeiten und Projekte müssen über Stiftungen, Sponsoren oder Projektbeiträge mitfinanziert werden. Da kommt es manchmal zu finanziellen Engpässen – und dann hilft der Gönnerverein. Dank diesem konnte kürzlich beispielsweise ein Kontrabass, das Geschenk der Kirchgemeinde Gonten, restauriert werden. Nun steht er im Roothuus für Stobeden und Konzerte zur Verfügung. Der Gönnerverein, der etwa 320 Mitglieder umfasst, steuert zur Zeit auch einen festen Jahresbeitrag bei, der zur freien Nutzung zur Verfügung steht. «Ich bin sehr froh um diese Unterstützung», sagt Barbara Betschart, die Geschäftsführerin des Roothuus. «Sie gibt mir eine bestimmte Flexibilität und die Gewissheit, unkompliziert Hilfe zu erhalten.» 

«In sorgfältigster Arbeit hat Erwin Sager mehr als 1400 Naturjodel-Stücke in Notenschrift gesetzt, jedes Blatt ein kleines Juwel.»

Im Roothuus Gonten befindet sich auch eine wertvolle, von Erwin Sager zusammengetragene Sammlung von Naturjodel-Stücken. In sorgfältigster Arbeit hat er mehr als 1400 Stücke in Notenschrift gesetzt, jedes Blatt ein kleines Juwel. Diese Sammlung ist denn auch eine der Grundlagen für ein laufendes, vom Schweizerischen Nationalfonds mitfinanziertes Forschungsprojekt.

 

Text: Hannes Wanner

Bild: Roothuus Gonten, Zentrum für
Appenzeller und Toggenburger Volksmusik

zurück