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PERFORMANCE

No. 50 | 2024/3

Das «Obacht Kultur» N° 50, 2024/3 ist dem Thema Performance gewidmet.

Auftritt: Steven Schoch;
Bildbogen: Beatrice Dörig; Lisa Schiess
Texte: Rachel Mader, Michael Fehr, Ann Katrin Cooper, Bianca Veraguth u.v.m.

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Lassen sich Erlebnisse sammeln?

von Rachel Mader

Das Sammeln von Kunstperformances scheint ein paradoxes Vorhaben zu sein: Eine Kunstform, die durch den Auftritt lebt, die Präsenz von Personen erfordert und in der die unmittelbare Erfahrung im Zentrum steht, soll wie Gemälde und Skulpturen in Museen erhalten und von Zeit zu Zeit aus dem Depot hervorgeholt und erneut aufgeführt werden? Der ersten Generation von Performancekünstlerinnnen und -künstlern der 1960er-Jahren ging eine solche Idee gegen den Strich. Ausgebildet und aktiv in einer Kunstszene, deren primäres Thema die Spielarten abstrakter Malerei war, zielten sie mit ihrem performativen Arbeiten auf den Bruch mit dieser Gattung – genauso wie mit dem Betrieb, in dem diese Kunst geschaffen, gekauft und gezeigt wurde. Ihre Kunst sollte dagegen mit der Gesellschaft zu tun haben, sollte leben, zum Nachdenken über das menschliche Dasein anregen und nicht wie eine Ware gehandelt werden können. Marina Abramovic etwa, die wohl berühmteste Performancekünstlerin jener frühen Jahre, setzte sich und ihren Körper mitunter sogar lebensgefährlichen Situationen aus, auch, um die Zuschauerinnen und Zuschauer aus ihrer distanziert betrachtenden Haltung hervorzulocken. In der 1974 in einer neapolitanischen Galerie erstmals aufgeführten Performance «Rhythm 0» stand die Künstlerin regungslos neben einem Tisch, auf dem 72 Gegenstände – darunter eine geladene Pistole – verbunden mit der Aufforderung präsentiert wurden, diese für frei gewählte Handlungen an ihr zu nutzen. Selbstverletzungen waren in der frühen Performancekunst nicht untypisch, stehen für die radikale Ernsthaftigkeit, mit der die Kunstschaffenden das «echte Leben» in die Kunstwelt zurückholen wollten. Und genau dieser Betrieb sorgte immer wieder dafür, dass diese Aktionen ein Publikum fanden, dass den Kunstschaffenden nichts geschah – auch Abramovic ging aus allen ihren Performances unversehrt hervor – und die Arbeiten über dokumentarische Medien wie etwa Fotografie den Weg in Sammlungen fanden. Fünfzig Jahre später hat sich die Situation und auch die Haltung der Kunstschaffenden grundlegend verändert. Performancekunst ist für museale Programmationen attraktiv geworden und die Kunstschaffenden selbst zeigen sich sehr daran interessiert, ihre Arbeiten längerfristig zeigen zu können. Auch ihre Arbeitsweisen haben sich geändert: Es gibt genauso Choreografien, die von einer spezifisch trainierten Gruppe übernommen werden, wie es installative Anordnungen gibt, die punktuell von Drittpersonen bespielt werden, und mitunter sind sogar die Besucherinnen und Besucher eingeladen, die Performance durchzuführen. Für diese Performances schreiben Künstlerinnen und Künstler Anleitungen, legen die Rahmenbedingungen fest und leiten, wenn nötig, die Ausführenden an. Das Werk ist streng genommen ein Stück Papier, auf dessen Basis stetige Neuaufführungen möglich sind. Die Versprechen von Performancekunst bleiben so intakt, die Kunstschaffenden haben aber durch den Verkauf ein Auskommen und Museen würdigen nachhaltig eine Kunstform, die bislang zu verschwinden drohte.

Rachel Mader, geboren 1969, ist Kunstwissenschaftlerin. Seit 2012 leitet sie das Kompetenzzentrum Kunst, Design & Öffentlichkeit an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst. Sie verantwortet Forschungsprojekte zu künstlerischer Selbstorganisation, dem Sammeln ephemerer Kunst oder auch künstlerischer Kollektivität. Rachel Mader ist Co-Präsidentin des Swiss Artistic Research Network (SARN).

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