Ausgabe

PERFORMANCE

No. 50 | 2024/3

Das «Obacht Kultur» N° 50, 2024/3 ist dem Thema Performance gewidmet.

Auftritt: Steven Schoch;
Bildbogen: Beatrice Dörig; Lisa Schiess
Texte: Rachel Mader, Michael Fehr, Ann Katrin Cooper, Bianca Veraguth u.v.m.

Online blättern
Ausgabe bestellen

Gedächtnis

Unsichtbare Performance: wie Düfte Räume beleben

von David Glanzmann

Düfte transformieren Raume und schaffen immaterielle Buhnen, die tief in unsere Emotionen und Erinnerungen eindringen. Diese Form der unsichtbaren, vergänglichen Performance ist besonders wirkungsvoll, da sie unmittelbar und körperlich erfahrbar ist. Indem der Geruchssinn als künstlerisches Medium genutzt wird, eröffnen sich neue Wege, wie Kunst performativ erlebt und interpretiert werden kann. Ein Beispiel dafür bot die Ausstellung ≪Liebe≫ im Zeughaus Teufen im Frühjahr 2024. Im Zentrum stand die olfaktorische Wahrnehmung als sinnliches und emotionales Erlebnis. Die Installation bestand nicht aus visuell wahrnehmbaren Kunstwerken, sondern aus über 800 unbeschrifteten, transparenten Flakons, die auf den ersten Blick fast leer wirkten. In ihnen jedoch entfalteten sich sieben verschiedene Essenzen der Liebe – Düfte, die Parfümeur Andreas Wilhelm eigens für diese Ausstellung komponiert hatte, in Szene gesetzt von der Szenografin Clara Sollberger. Der Inhalt der Flakons bot Stoff für individuelle Geschichten, während die Besuchenden sie ≪pflückten≫, daran rochen und ihre Gedanken dazu teilten. Etwas ganz Besonderes geschah: Menschen, die sich zuvor nicht kannten, kamen miteinander ins Gespräch. Sie tauschten sich darüber aus, was die Düfte in ihnen auslosten, wie sie Liebe olfaktorisch erlebten und wie flüchtig diese Eindrucke waren. Diese kommunikative Dimension prägte die Ausstellung. Während in anderen künstlerischen Disziplinen der Austausch zwischen Besuchenden kaum stattfindet, trat er hier in den Vordergrund. Die Duftnoten führten zu spontanen, tiefgehenden Gesprächen, die auf einer emotionalen Ebene stattfanden. So zeigte sich, dass Düfte nicht nur ephemere Erlebnisse schaffen, sondern auch als Katalysator für menschliche Interaktion dienen. So wandelte sich die Ausstellung stetig, denn die Besuchenden brachten durch ihre eigene Wahrnehmung und Bewegung eine neue Dimension in das Erlebnis ein. Die flüchtige Natur der Düfte betonte die Vergänglichkeit des Augenblicks – ein Kernelement der Performancekunst. Es entstand eine unsichtbare Bühne, die sich durch die individuellen Reaktionen und Assoziationen immer wieder neu formte. Der Geruchssinn, so wurde deutlich, ist in der Lage, Kunst auf eine körperlich erfahrbare Weise zu vermitteln. Jedoch blieb unklar, wer nun performt: der Künstler Andreas Wilhelm, die Besuchenden selbst, wenn sie ein Fläschchen umplatzierten, oder eben die sich dadurch wandelnde Szenografie von Clara Sollberger. In der Konsequenz liesse sich wiederum die Frage stellen, ob nicht jede Ausstellung als Performance funktioniert, mit wiederkehrenden Mustern wie Vernissage, Finissage oder den die Werke betrachtenden Menschen. Duft und Performancekunst allerdings sind augenscheinlich auf faszinierende Weise miteinander verwoben, weil beide das Unwiederholbare zelebrieren. Diese Flüchtigkeit verleiht beiden Medien eine besondere Intensität: Was wir riechen oder erleben, ist unmittelbar und körperlich, aber sobald es vergangen ist, bleibt nur die Erinnerung. Diese Form der olfaktorischen Performance erweitert das Spektrum dessen, was Kunst sein kann, und betont die Bedeutung des Moments, des Erlebens im Hier und Jetzt. Solche multisensorischen Ansätze erweitern den Diskurs über die Grenzen der Wahrnehmung und zeigen, dass auch unsichtbare, flüchtige Elemente eine nachhaltige Wirkung hinterlassen können. Düfte schaffen Räume, in denen Kunst zu einem lebendigen, performativen Austausch wird – ein Erlebnis, das tief im Gedächtnis verankert bleibt, lange nachdem der Duft selbst verflogen ist.

David Glanzmann, geboren 1990, ist Kommunikationsdesigner und Wirtschaftswissenschafter und seit 2023 Co-Leiter des Zeughaus Teufen.

 

zurück