PERFORMANCE
No. 50 | 2024/3Das «Obacht Kultur» N° 50, 2024/3 ist dem Thema Performance gewidmet.
Auftritt: Steven Schoch;
Bildbogen: Beatrice Dörig; Lisa Schiess
Texte: Rachel Mader, Michael Fehr, Ann Katrin Cooper, Bianca Veraguth u.v.m.
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Thema
Was ist Performancekunst im Appenzellerland?
von Ursula Badrutt
Die Bedeutung von Performancekunst seit Mitte des letzten Jahrhunderts für die Kulturszene ist – insbesondere rückblickend – nicht zu übersehen, auch in Appenzell Ausserrhoden nicht. Mit Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) darf der Kanton gar stolz sein auf die Pionierin in der selbstverständlichen Anwendung spartenverbindender Kunstformen. Wesentlich in den Anfängen der Performancekunst war die Abwendung von herkömmlichen Definitionen. Und von Metropolen, von Zentren und Obrigkeiten, die Regeln vorgeben. Nicht um Kunst geht es, sondern ums Manifestieren von Haltungen, allenfalls nach ästhetischen Gesichtspunkten. Performance als Proklamation von Widerstand insbesondere gegen bürgerliche Werte war zwar wichtig. Noch wichtiger und weitreichender war das Verständnis von Kunst als Experiment, als Forschung, als Spiel, wodurch der Kunstbegriff gehörig ausgeweitet wurde. Bemerkenswert ist die starke Prägung des Künstlers, Dozenten und Vermittlers Serge Stauffer in der Ostschweiz. Sowohl damals als auch heute sind soziale, politische, geschlechterspezifische Reflexionen in der Performancekunst wichtig. Die Recherchen zum Thema Performancekunst in Ausserrhoden gingen von zwei Protagonisten und zwei Protagonistinnen aus, die stellvertretend für viele weitere wichtige Kulturtäterinnen im Bereich Performance stehen. Deutlich wurde dabei, dass es Unfug ist, sich geografische Rahmen zu setzen, Performanceszenen mittels Kantonsgrenzen abzustecken. Das Fluide der Performancekunst als zentraler Aspekt intendiert gerade das Gegenteil, nämlich das in jeder Hinsicht Grenzüberschreitende zu Gunsten des Verbindenden, Inkludierenden. Damit hängt auch zusammen, dass Definitionsversuche, was Performance ist und was nicht, scheitern – als Impetus der Performance selbst. Mehr denn je ist Performancekunst bemüht, Beschränkung aufgrund vorgegebener Rollen aufzuheben, offene Räume zu schaffen, immer noch – wie etwa Lika Nüssli – auch auf die Strasse zu gehen, den öffentlichen Raum zum Atelier zu erklären. Mehr als in herkömmlichen Sparten vermischen sich in der Perfomance Kunst und privates Leben. Auch das ist eine Form der Entgrenzung. Auch können sich Performende und Zuschauende vermischen, oder die Performenden sind die Kuratierenden – Wassili Widmer und Isabel Rohner als Beispiel – oder die Dokumentierenden wie Wolfgang Steiger. Performance kann als Werkzeug gesehen werden, Beziehungen und Gemeinschaften überhaupt erst zu bilden – eine Antwort oder Gegenbewegung auf physische und psychische Formen von Vereinsamung der zunehmend digitalisierten Gesellschaft. Dies ist aktuell jedenfalls verstärkt zu beobachten. Genauso wie eine erneut bewusste Verabschiedung materialintensiver Auftritte im Sinne dringend nötiger Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Weiterhin kritisch ist die allgemeine Rezeption der Performance. Zurückhaltung macht sich breit, sobald es um Performancekunst geht, sei es aus Respekt, sei es aus Distanzierung, aus Desinteresse, Überforderung oder aufgrund fehlender Kenntnisse oder einfach mangels Gelegenheit, sich einzulassen. Die auch in Fachkreisen bestehende Uneindeutigkeit, wie Performance zu bewerten ist und ob nicht einfach das Publikum selbst die Kriterien zur Beurteilung liefert, sind integraler Teil der Performancekunst. Es braucht Mut, wie Lika Nüssli sagt. Nicht nur zu performen, auch zuzuschauen, sich einzulassen. Und damit bereits Teil der Performance zu sein.