KURATIEREN
No. 44 | 2022/3«Obacht Kultur» N° 44, 2022/3 widmet sich dem Kuratieren.
Auftritt: Ollie Schaich;
Umschlag: Jana Zürcher;
Bildbogen: GAFFA;
Texte: Patti Basler, Johannes Stieger, Isabelle Chappuis u.v.m.
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Gedächtnis
APPENZELLDIGITAL. WER KURATIERT MIT?
von Theres Inauen
Kuratieren meint in einem erweiterten Verständnis die Tätigkeit, spezifische Inhalte aus einem (unübersichtlichen) Gesamtfundus auszuwählen, zu präsentieren und beispielsweise entlang eines thematischen Fokus erzählerisch miteinander in Verbindung zu bringen: auf einem Büchertisch, in einer Playlist mit Songs, im Monatsprogramm des Kinos.
KURATIEREN WIRD VIELSTIMMIGER
Ist im Kontext von Ausstellungen die Figur der etablierten Kuratorin, des gehypten Kurators oder des umstrittenen Kuratorinnen-Kollektivs weiterhin wichtig und werden damit verbundene Fragen nach der Macht der Selektion, der Verantwortung der Präsentation und der Fähigkeit zur Vermittlung kontrovers diskutiert, tritt im Zusammenhang mit einer weiten Definition von Kuration vielmehr das Kuratieren als Tätigkeit an sich in den Vordergrund. Bisher klare Rollenzuweisungen – hier die Kuratorinnen und Kuratoren, da das Publikum – werden aufgeweicht, wenn die Museumsbesucherin oder der Spotify-Abonnent dazu eingeladen werden, an den Prozessen des Auswählens, Präsentierens und Erzählens zu partizipieren. In digitalen Räumen prägen zudem die Algorithmen der verwendeten Programme das Kuratieren wirkungsvoll mit. Die Selektion wird delegiert, an viele oder an die trainierten Algorithmen. Die mit dem Kuratieren verbundene Verantwortung wird kollektiviert und dabei auch mal unklar. Und die möglichen Erzählungen werden – idealerweise – vielstimmiger.
KURATIERTE LINK-SAMMLUNG
AppenzellDigital. ist ein Online-Portal, das digitale Angebote mit Informationen über das Appenzellerland beschreibt. Es ist weder Suchmaschine noch Archiv, sondern ein Portal im wörtlichen Sinne: ein Tor zu im weitläufigen Daten-Dschungel häufig gut versteckten Bildern, Texten, Karten, Tönen oder Websites. Angestossen vom Verein Appenzeller Hefte bündelt es bestehende digitale Angebote, die Wissen über das Appenzellerland vermitteln. Anders gesagt: AppenzellDigital. ist eine von einer Begleitgruppe kuratierte Sammlung an Links, die Interessierten den Zugang zu digitalisierten und digitalen Inhalten rund um Appenzeller Kultur, Geschichte und Geografie erleichtern soll.
KURATIEREN IM VIRTUELLEN WISSENSRAUM
Mit der Rubrik «Schatztruhe» wurde zudem ein Gefäss geschaffen, um besondere Entdeckungen aus der unendlichen Vielfalt an zugänglichen Inhalten herauszugreifen und zu kontextualisieren. Dabei stellt sich die Frage, welches «Kuratieren» in einem virtuellen Wissensraum wie AppenzellDigital. möglich ist. Nora Sternfeld, österreichische Kunst- und Kulturwissenschaftlerin, schreibt in einem Text zum «Postrepräsentativen Kuratieren»: «Mit anderen Worten, es geht nicht mehr darum, dass etwas gezeigt oder dargestellt werden soll, sondern darum, dass etwas geschehen kann.» Kuratieren zielt in Sternfelds Verständnis auf die Herstellung von öffentlichen Handlungsräumen, in denen «unerwartete Begegnungen» und «diskursive Auseinandersetzungen» stattfinden können.
APPENZELLDIGITAL.ALS VIELSTIMMIGE SCHATZTRUHE
Die virtuelle «Schatztruhe» von Appenzell-Digital. könnte in Zukunft in ihrem Potenzial als ein solcher öffentlicher (Ver-)Handlungsraum im Sinne Sternfelds erkundet werden. Die Vision: Verschiedene «Kuratorinnen» – Künstlerinnen, Schüler, Politikerinnen, Appenzeller oder Appenzellerland-Interessierte – präsentieren und vermitteln ihre persönliche Auswahl von Inhalten, die sie über das Portal recherchiert und entdeckt haben. Die gezeigten Trouvaillen regen zum weiteren Stöbern an, vielleicht entstehen daraus neue Schatztruhen-Beiträge – in Anknüpfung, als Entgegnung oder als Vertiefung. Das Online-Portal wird zu einem gemeinsam kuratierten Appenzeller Wissensraum erweitert, der nicht nur den Zugang zu digitalen Angeboten vereinfacht, sondern wo sich viele Türen zu überraschenden Themen, vielfältigen Perspektiven und spezifischen Expertisen öffnen. Wer kuratiert mit?
Theres Inauen, geboren 1985, Kulturwissenschaftlerin, ist in Appenzell aufgewachsen und lebt in Basel. Sie engagiert sich in unterschiedlichen Kontexten für die Herstellung von offenen (Ver-)Handlungsräumen: als Hochschuldozentin, im Kontext der Kulturlandsgemeinde oder als Teil der Begleitgruppe von AppenzellDigital.